Eine Region wehrt sich – mit bürgerlichem Engagement, mit Menschenketten und wöchentlichen Demonstrationen und nun auch mit juristischen Mitteln.
„Wir befürchten eine erhebliche Beeinträchtigung der Frischluftversorgung der Hauptstadt durch das ausgewiesene Frischluftproduktionsgebiet im Bereich des Müggelsees und einen verstärkten Feinstaubeintrag in die Stadt. Ganz Europa beneidet Berlin um seine Innenstadtseen. Und Berlin fällt nichts besseres ein, als diese zu verlärmen und zu verdrecken“, so ein Sprecher der Friedrichshagener Bürgerinitiative.
Die Kanzlei BAUMANN Rechtsanwälte hat am heutigen Tage (20.07.2012) für die Naturfreunde Berlin e.V. sowie für mehrere Bürger Klage gegen die so genannte Müggelseeroute beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingereicht. Bei der Müggelseeroute handelt es sich um ein Abflugverfahren für den Flughafen Berlin-Brandenburg, das mit Entscheidung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung Ende Januar 2012 festgesetzt wurde und durch das 854.700 Bürger durch Fluglärm über 40 dB(A) belastet werden. Die Klage wird unterstützt vom Bürgerverein Friedrichshagen e.V.
Die Klageschrift wurde von Rechtsanwältin Heß um 10:00 Uhr dem Oberverwaltungsgericht übergeben.
Um 11:00 Uhr fand in den Räumen des Deutschen Naturschutzsrings (DNR) ein Pressegespräch statt, in dem die Beweggründe und die konkreten rechtlichen Schritte erläutert wurden.
Bekanntermaßen wurden im Planfeststellungsverfahren für den Ausbau des Flughafens noch geradeaus verlaufende Flugrouten zu Grunde gelegt. Wie das Bundesverwaltungsgericht erst kürzlich festgestellt hat, war dabei allen Beteiligten bekannt, dass später aufgrund von Empfehlungen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation diese Flugrouten nicht realisiert werden können, sondern vollkommen andere Routen festgesetzt würden. Bei der Neufestsetzung der Flugrouten hat das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung plötzlich auf Vorschlag der DFS ein Abflugverfahren über den Müggelsee, die sogenannte Müggelseeroute, eingeführt. Durch diese neue und im Planfeststellungsverfahren nicht vorgesehene Routenführung werden nicht nur Europäische Fauna-Flora-Habitat-Gebiete und Vogelschutzgebiete überflogen, ohne dass eine entsprechende Verträglichkeitsprüfung oder eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, sondern auch weite Teile des Landes Berlin sowie zuvor nicht betroffene Umlandgemeinden mit einem Lärmteppich überzogen.
Herr Uwe Hiksch, stellvertretender Landesvorsitzender der Naturfreunde Berlin e.V., erläutert die Gründe für die Klageeinreichung: „
Die Naturfreunde Berlin e.V. setzen sich seit Jahren als anerkannter Umweltverband für einen schonenden Umgang mit der Natur ein. Die Führung eines Abflugverfahrens über den Müggelsee widerspricht jeglichen naturschutzrechtlichen und –fachlichen Grundsätzen. Dies gilt vor allem im Hinblick darauf, dass ein Überflug der gesamten Müggelseeregion im Planfeststellungsverfahren nicht vorgesehen war. Es wurde angenommen, dieser Bereich liege „außerhalb der Vorhabensauswirkungen“. Dass nun das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung trotzdem eine solche Routenführung ausgewählt hat, ohne die nach vorrangigem europäischem Recht erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung sowie eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, ist für uns völlig inakzeptabel.“
Dr. Sigrid Strachwitz, Vorsitzende des Bürgervereins Friedrichshagen e.V., sieht im Verhalten der zuständigen Behörden grobe Pflichtverletzungen:
„Der Bürgerverein Friedrichshagen e.V. hat vielfältige Anstrengungen unternommen, um die zuständigen Behörden auf die Versäumnisse im naturschutzrechtlichen Bereich hinzuweisen und diese Unterlassungen noch vor der eigentlichen Routenfestsetzung zu korrigieren.
Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung hat unsere Bedenken schlicht ignoriert und sehenden Auges die Müggelseeroute festgesetzt und hierdurch den Stadtteil Friedrichshagen und weitere Gebiete im Süden Berlins einer Immissionsbelastung ausgesetzt, die im Planfeststellungsverfahren weder vorgesehen noch abgewogen war. Die Friedrichshagener Bürger fühlen sich in ihrem Vertrauen in die Glaubwürdigkeit staatlicher Entscheidungen massiv getäuscht. Sie sind empört darüber, dass das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung millionenschwere Investitionen der öffentlichen wie der privaten Hand in die Entwicklung des Stadtteiles zunichte macht und gleichzeitig noch das Land und die Stadt Berlin um ihre mit Abstand wichtigste Erholungsregion und einen eminenten ökologischen Ausgleichsraum bringt. Wir befürchten eine erhebliche Beeinträchtigung der Frischluftversorgung der Hauptstadt durch das ausgewiesene Frischluftproduktionsgebiet im Bereich des Müggelsees und einen verstärkten Feinstaubeintrag in die Stadt. Deshalb unterstützen wir unsere Bürger bei dieser Klage mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.“
Rechtsanwalt Wolfgang Baumann (Fachanwalt für Verwaltungsrecht) sieht gute Erfolgschancen für die Klage:
„Die Versäumnisse von Deutscher Flugsicherung und Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung sind aus unserer Sicht einmalig. Dass die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung sowie einer FFH-Verträglichkeitsprüfung europarechtlich zwingend ist, steht für mich zweifelsfrei fest. Darüber hinaus wurde aber auch versäumt, den Überflug der Müggelseeregion wasserrechtlich ausreichend zu prüfen und hier insbesondere Gefahren für die Trinkwasserversorgung des Landes Berlin ordnungsgemäß zu beurteilen. Eine derartige Prüfung hat weder im Planfeststellungsverfahren noch im Verfahren der Routenfestsetzung stattgefunden. Dies sind schwere Versäumnisse.“
Rechtsanwältin Franziska Heß fasst die wesentlichen Klageargumente zusammen:
„Die Festlegung der Müggelseeroute ist nach unserem Dafürhalten aus mehreren selbstständig tragenden Gründen rechtswidrig. Neben den europarechtlichen Bedenken im Hin-
blick auf die unterlassenen Verträglichkeitsprüfungen und der Nichtdurchführung eines wasserrechtlichen Verfahrens, leidet die Festlegung des Abflugverfahrens vor allem an schwerwiegenden Abwägungsmängeln. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung hat auf Basis falscher Zahlen hinsichtlich der Lärmbetroffenen, ohne Berücksichtigung des Vertrauensschutzes der Bürger des Landes Berlin und ohne jegliche Rücksicht auf das Naherholungsgebiet Müggelsee eine grundlegend falsche Entscheidung getroffen. Dabei wären durchaus Verfahrensalternativen in Betracht gekommen, die sowohl einen Überflug des Müggelsees als auch eine Belastung von Bürgern des Landes Berlin mit Lärm hätten vermeiden können. Stattdessen hat sich das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung dazu entschieden, 854.700 Menschen mit Lärm zu beaufschlagen. Ein aus unserer Sicht ungeheuerlicher Vorgang.“
Die Festlegung der Müggelseeroute missachtet wesentliche Umweltaspekte und damit auch gravierende Gesamtauswirkungen auf die Region wie auf die Berliner Innenstadt. Mit dem Aufzeigen grundsätzlicher Planungs- und Abwägungsmängel hat die Klage exemplarischen Charakter.
Pressemitteilung der NaturFreunde Deutschland, Landesverband Berlin e.V.